Verkäufer, Zwischenhändler oder Empfänger? Verkauft ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland Waren an einen Kunden in Großbritannien, stellt sich die Frage, wer eigentlich die dafür anfallende Umsatzsteuer zahlen muss. Klar ist: Seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem EU-Binnenmarkt am 1. Januar 2021 können die erfreulich unkomplizierten Binnenmarktregeln in diesem Fall nicht zur Anwendung kommen. Da Great Britain aus Sicht der EU nun den Status eines Drittlandes innehat, erweist sich die umsatzsteuerliche Bewertung als recht kompliziert. Um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir die wichtigsten Regelungen im Folgenden für Sie zusammengefasst.

Obwohl der Austritt aus der Europäischen Union nun schon rund drei und das Verlassen des EU-Binnenmarktes mehr als zwei Jahre zurückliegt, wirft der umsatzsteuerrechtliche Status von England, Schottland und Wales bei vielen deutschen Unternehmen noch immer Fragen auf. Kein Wunder, immerhin sind die seither geltenden Regelungen schwer zu durchschauen. Wer die Umsatzsteuer in welchem Land zahlen muss, hängt nämlich von mehreren Faktoren ab.

 

Warenwert als Beurteilungsmerkmal heranziehen

Eine wichtige Rolle spielt beispielsweise der Warenwert. Ist dieser niedriger als 135 Pfund, ist die Lieferung in Großbritannien steuerbar. Das heißt, das deutsche Unternehmen muss sich bei der britischen Finanzbehörde registrieren und im Empfängerland Umsatzsteuer zahlen. Der Regelsteuersatz beträgt hier 20 Prozent; der ermäßigte Steuersatz liegt bei 5 Prozent.

Anders sieht es jedoch aus, wenn der Verkauf über einen Marktplatzanbieter erfolgt. Letzterer muss dann die Rechnung stellen, darauf die Umsatzsteuer ausweisen und diese an das für ihn zuständige britische Finanzamt entrichten. Eine Registrierung des deutschen Händlers in Großbritannien ist in diesem Fall nicht erforderlich.

Etwas komplizierter wird es, wenn der Warenwert über 135 Pfund liegt. Dann wird eine Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 20 Prozent fällig. Werden die Waren an einen Endverbraucher geliefert, entrichtet meist der Händler diese Steuer, da er in der Regel derjenige ist, der die Einfuhr anmeldet. Außerdem muss er die klassische inländische Umsatzsteuer auf der Rechnung ausweisen und abführen. Auch eine Registrierung und das Einreichen einer Umsatzsteuererklärung in Großbritannien sind dann notwendig. Die Vorsteuer kann der Unternehmer dabei wie in Deutschland abziehen.

Es ist aber grundsätzlich auch möglich, die Zollanmeldepflicht auf den Kunden zu übertragen. In diesem Fall zahlt der Empfänger die Einfuhrumsatzsteuer. Darauf muss der Händler dann allerdings vor dem Kauf hinweisen.

 

Lieferungen an britische Unternehmen

Erfolgt die Lieferung an ein Unternehmen, gestaltet sich die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung ein wenig einfacher. In diesem Fall ist nämlich der in Großbritannien ansässige Kunde umsatzsteuerpflichtig. Der Lieferant muss keine Einfuhrumsatzsteuer zahlen und kann auf eine Registrierung im Ankunftsland verzichten. Voraussetzung ist aber, dass der Kunde über eine britische Umsatzsteuernummer verfügt. Zudem müssen sich die Waren zum Kaufzeitpunkt in Deutschland befunden haben.

 

Nutzung eines Warenlagers in Großbritannien

Bewahrt der Lieferant die zu verkaufenden Produkte jedoch schon vor dem Verkauf in einem britischen Lager auf, sind einige Besonderheiten zu beachten. In diesem Fall wird für den deutschen Händler eine Einfuhrumsatzsteuer fällig, wenn die Waren in Großbritannien eintreffen. Der Vorsteuerabzug ist aber natürlich möglich. Werden die Produkte später über den eigenen Online-Webshop verkauft, muss die Lieferung in Großbritannien versteuert werden. Das heißt, der Händler muss eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis erstellen und die Steuer an die britische Finanzbehörde abführen. Daher ist eine Registrierung zwingend erforderlich. Ob es sich beim Käufer um eine Privatperson oder einen Unternehmer handelt, spielt hierbei keine Rolle.

 

Verkauf über eine Marktplatzplattform

Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn eine elektronische Marktplatzplattform in den Verkauf involviert ist, die Waren in einem britischen Lager aufbewahrt werden und der Empfänger der Lieferung ein Privatkunde ist. Dann muss zwangsläufig der Endabnehmer die Umsatzsteuer entrichten. Dennoch ist der deutsche Händler verpflichtet, sich bei der britischen Steuerbehörde zu registrieren und eine Umsatzsteuererklärung einzureichen. Darin muss er die Übergabe der Ware an den Marktplatzanbieter melden. Der Steuersatz beträgt dafür allerdings 0 Prozent. Geht die Lieferung an ein Unternehmen, muss der Verkäufer jedoch die reguläre Umsatzsteuer in Großbritannien entrichten.

 

Umsatzsteuerrechtliche Beurteilung in Deutschland

Glücklicherweise gestaltet sich die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung von Lieferungen nach Großbritannien in Deutschland ein wenig unkomplizierter. Für diesen Vorgang wird hierzulande nämlich keine Umsatzsteuer fällig. Schließlich handelt es sich dabei um Ausfuhrlieferungen in ein Drittland, die grundsätzlich umsatzsteuerfrei sind. Dennoch sollten Unternehmen unbedingt an eine saubere Dokumentation denken und entsprechende Belege zusammenstellen.

 

Waren aus Großbritannien in Deutschland einführen

Anders stellt sich die Situation dar, wenn Waren von einem britischen Händler gekauft und in die Bundesrepublik eingeführt werden. Dieser Vorgang ist in steuerlicher Hinsicht äußerst komplex. Grundsätzlich ist derjenige steuerpflichtig, der für den Transport sowie für die Zollabwicklung in Deutschland verantwortlich zeichnet und die Einfuhrumsatzsteuer zahlt. Wer das ist, wird meistens vorab in den Lieferbedingungen festgelegt. In der Regel handelt es sich hierbei um den Händler. Dank strenger deutscher Verbraucherschutzgesetze ist der Privatkunde nämlich nicht zur Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer verpflichtet. Einzige Ausnahme: Er hat beim Kauf der Produkte einer anderen Vorgehensweise ausdrücklich zugestimmt. Muss der Händler die Einfuhrumsatzsteuer zahlen, ist er verpflichtet, sich beim Bundeszentralamt für Steuern zu registrieren, die Lieferung zu melden und die zusätzlich anfallende Umsatzsteuer in Deutschland zu entrichten.

 

Nutzung des IOSS-Verfahrens in bestimmten Fällen möglich

Liegt der Wert der Warensendung unter 150 Euro, kann er jedoch das Verfahren Import-One-Stop-Shop (IOSS) nutzen. Wenn der Händler daran teilnimmt, darf er alle Warenlieferungen, die er in die Europäische Union getätigt hat, der Einfachheit halber zusammenfassen und an eine einzige Behörde übermitteln. Die Einfuhrumsatzsteuer muss dann nicht gezahlt werden. Entscheidet sich der Händler gegen dieses Verfahren, muss er in jedem Land, in das Waren eingeführt wurden, eine Umsatzsteuervoranmeldung abgeben.

Beim Versand von Waren, die teurer als 150 Euro sind oder auf dem Weg zum Kunden einen Zwischenstopp in einem in der EU ansässigen Lager einlegen, steht die IOSS-Option nicht zur Verfügung. Beliefert der britische Händler ein Unternehmen, ist die Teilnahme am Import-One-Stop-Shop-Verfahren ebenfalls nicht möglich – ganz gleich, wie hoch der Warenwert ist.

 

Verkauf über eine deutsche Marktplatzplattform

Eine Ausnahme besteht, wenn der Kauf über einen Marktplatz abgewickelt wurde und der Warenwert unter 150 Euro liegt. In diesem Fall geht die Steuerpflicht auf den Marktplatzbetreiber über. Dieser hat die Möglichkeit, das IOSS-Verfahren zu nutzen. Der Lieferant muss dann keine Einfuhrumsatzsteuer zahlen und sich nicht in Deutschland registrieren. Letzterer sollte allerdings bedenken, dass die vorausgehende Lieferung aus dem Vereinigten Königreich in ein deutsches Lager aus steuerrechtlicher Sicht eine eigenständige Lieferung darstellt, die in Großbritannien versteuert werden muss.

Bei einem Warenwert über 150 Euro ist die Lieferung grundsätzlich in Deutschland steuerbar. Einzige Ausnahme: Der Marktplatz übernimmt die Einfuhrumsatzsteuer. Dann entfällt die Registrierungspflicht für den Lieferanten.

 

Vor grenzüberschreitenden Lieferungen mit dem Steuerberater sprechen

Die vorangegangenen Ausführungen haben Sie verwirrt? Kein Wunder, bei all diesen Regeln kann man schnell durcheinanderkommen. Doch nicht nur die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung macht den Versandhandel kompliziert.

Wichtig zu wissen ist außerdem, dass bei der Ausfuhr von Waren auch zollrechtliche Vorgaben beachtet werden müssen. Darüber hinaus sollten Unternehmer nicht vergessen, dass für Lieferungen nach Nordirland einige Sonderregeln gelten. Obwohl das Land als Teil des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ausgetreten ist, kommen bei der Einfuhr von Waren weiterhin die Binnenmarktregeln der EU zur Anwendung.

Aufgrund dieser komplexen Regelungen sollten Unternehmen, die Waren ins Vereinigte Königreich verkaufen wollen oder Lieferungen aus Großbritannien erwarten, vorab unbedingt mit einem Steuerberater sprechen. Dieser kann sicherstellen, dass der grenzüberschreitende Versandhandel nicht zur Steuerfalle wird.

Denis Broll - Diplom Ökonom | Steuerberater, Fachberater für int. Steuerrecht, zert. Berater für E-Commerce <small>(IFU / ISM gGmbH)</small>

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